Freitag, 16. Juni 2006

"Public Viewing" - So war es bei mir

Berlin, 14. Juni 2006, 12:30 Uhr

Heute spielt Deutschland gegen Polen. Das kann ich mir nicht entgehen lassen. Vorher aber noch zwei andere Spiele. Das Telefon klingelt. Ein Kumpel will mit mir rausgehen. Grundsätzlich gerne, nur möchte ich heute kein Spiel verpassen. Kein Problem (wie ich hinterher erfahren habe, hat er die Augen verdreht *g*), er will auf den Kreuzberg, sich dort etwas auf die Wiese packen. Da gibt es ja den Biergarten „Golgatha“, da werden alle Spiele gezeigt. Also treffen wir uns und machen es uns auf der Wiese gemütlich.


15:00 Uhr – Spanien gegen Ukraine

Wir schlendern in’s Golgatha. Alles noch ziemlich leer. Ein paar Fans sind da, aber alles ist ruhig und gelassen. Wir setzen uns nach oben und schauen uns das Spiel an. 4:0, Glückwunsch Spanien. So gut hätte ich die Mannschaft nicht eingeschätzt. Nach dem Spiel wollen wir noch mal auf die Wiese (und runter von den Holzbänken). Allerdings haben wir nach 4 Bier und 3 Bratwürsten kaum noch Geld für die zweite Runde Fußball. Also schwingt er sich auf sein Fahrrad und fährt zur Bank. Ich mache es mir indessen wieder auf der Wiese gemütlich und mache mich an mein letztes Bier, dass ich noch dabei hatte.


18:00 Uhr – Tunesien gegen Saudi-Arabien

Wieder im Biergarten sind mittlerweile schon zwei Freundinnen von uns eingetroffen. Wir suchen uns Sitzplätze mit vermeintlich gutem Blick auf die große Leinwand. Der Biergarten ist schon etwas voller. Das zweite Spiel des Tages, nicht unbedingt das größte Aufeinandertreffen dieser WM, verläuft mit immerhin 4 Toren, aber trotzdem nicht übermäßig spannend. Endstand 2:2.


20:00 Uhr – Vor dem Spiel

Der Biergarten füllt sich. Auch an unserem Tisch finden sich immer mehr Freunde ein. Gegen 20:30 mache ich noch mal eine letzte Runde zur Toilette und zum Tresen, da es mittlerweile so voll ist, das man sich überall hindrängeln muss. Wieder zurück sitzen auch „Fremde“ mit an unserem Tisch, aber nette Leute, also soll es mich nicht stören. Die Stimmung ist nun schon etwas angespannt. Ständig bleiben Menschen vor uns stehen und merken scheinbar nicht, dass sie uns den Blick auf die Leinwand verwehren. Manche kann man nur schwer zum Weitergehen bewegen. Es ist mir auch leicht unverständlich, wie man 15 Minuten vor dem Anpfiff noch ernsthaft darauf hoffen kann, noch einen guten Platz zu ergattern.


21:00 Uhr – Jetzt geht es los

Zur Nationalhymne stehen sogar einige auf. Möchte man fast gar nicht glauben. Es gibt auch nur noch vereinzelt Leute, die im Weg stehen. Und dann endlich der Anpfiff. Was interessiert mich das viele Drumherum und das Gequatsche, ich will da Spiel sehen. Das Bier ist kalt (wenn auch jetzt schon nur noch halbvoll), Zigaretten liegen parat und die Stimmung ist gut. Zunächst sind die Polen etwas besser, aber auch wir haben gute Chancen. Gegen Ende der ersten Halbzeit findet Deutschland immer besser ins Spiel. Und damit geht es auch los, dass viele vor mir aufspringen, wenn wir nur den Hauch einer Chance auf ein Tor haben, so dass man nichts mehr sehen kann. Wenn das Tor fällt kann ich es ja verstehen, aber da waren wohl einige sehr motiviert.


Ca. 21:45 - Habzeitpause

Alles wuselt wieder wild durcheinander. Zum Glück habe ich meinen Gang zum WC vor dem Spiel getätigt. Hoffentlich finden alle ihren Platz wieder und es fühlt sich niemand dazu genötigt, sich einen Stehplatz vor unserem Tisch zu nehmen. Dem ist nicht so und wir sind wieder einmal bemüht klare Sichtverhältnisse für alle herzustellen.


22:00 Uhr – Zweite Halbzeit

Polen findet wieder ins Spiel, aber die deutsche Abwehr kann gut dagegen halten. Dann bringt Klinsmann Odonkor für Friedrich ins Spiel. Alle Jubeln, nur ich schüttel den Kopf. Und das nicht, weil Friedrich gehen muss. Der hat nicht wirklich überzeugt, scheint außer Form zu sein, aber von Odonkor verspreche ich mir nicht viel. Jedenfalls spielt Deutschland jetzt wieder besser.

Dann endlich kommt Neuville für Podolski ins Spiel. Den mochte ich schon immer und er war auch oft für ein Tor gut. In der 75. Minute erhält der Pole Sobolewski die gelb-rote Karte. Um mich herum Jubel. Auch das war mir unverständlich und halte ich für sehr unsportlich, einen Platzverweis zu bejubeln, selbst wenn es für uns von Vorteil ist. Nun dreht die deutsche Mannschaft so richtig auf. Die Polen scheinen auf unentschieden zu spielen, aber wir wollen gewinnen. Borowski schießt knapp am linken Pfosten vorbei und Klose und Ballack treffen beide die Latte (durfte ich alles in der Wiederholung sehen). Nach Flanke aus der rechten Seite von Odonkor schießt Neuville das erlösende Tor in der Nachspielzeit (erst nach dem Abpfiff wusste ich, wer das Tor erzielte, man konnte ja nichts sehen).


Nach dem Spiel – Meine Sicht der Dinge

Spannend war es, aber teilweise war nicht viel zu sehen. Laut war es auch. Na ja, kann man ja verstehen, aber den Gesang „Steht auf, wenn ihr Deutsche seid“ konnte ich beim besten Willen nicht unterstützen, zumindest nicht bei denen, die vor mir saßen. Desweiteren hatte ich 90 Minuten eine Frau direkt hinter mir sitzen, die lautstark „Polska, Polska“ rief und das fast die ganze Zeit. Mir dröhnte der Schädel. Noch schnell ein stilles Örtchen aufsuchen und dann machten wir uns alle auf den Weg nach Hause. Nichts mehr mit Feiern. Schade eigentlich. Auf den Sieg hätte ich gerne noch mal mit meinen Freunden angestoßen. Dafür wurde ich auf meinem Fußweg von mehreren Autos angehupt, was möglicherweise daran lag, dass ich ein Deutschlandtrikot anhatte. Die Freude kann ich verstehen, aber man hätte das Gefühl bekommen können, wir sind schon Weltmeister.


Ich jedenfalls werde mir das nächste Deutschlandspiel mit Freunden zu Hause oder in einer kleinen Lokalität ansehen, denn ich möchte auch gerne etwas sehen…

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